
Zum See
Kulinarische Gipfelträume
Das Zum See ist eines der bekanntesten Zermatter Bergrestaurants. Es feiert demnächst vier Jahrzehnte ehrliche und schmackhafte Gourmetküche. Wir haben die sympathischen Besitzer Max und Greti sowie ihre Nachfolger, Sohn Markus und Schwiegertochter Marion, getroffen.
Keine Strasse, kein Weg, nur ein schmaler Pfad und die Skipiste, die wenige Meter entfernt vorbeiführt. Zum See ist ein Weiler mit rund dreissig Chalets, Ställen und von Wind und Wetter geschwärzten Lärchenholzhütten mit breiten Schieferdächern. Er liegt auf einer flachen Alp 1760 Meter über Meer nahe einem Lärchenhain, hinter dem die Spitze des Matterhorns hervorragt. Eine Walliser Postkartenlandschaft, die so idyllisch anmutet, dass sie schon fast kitschig wirkt. Obwohl die Pendelbahn Furi in nur fünfzehn Fussminuten erreichbar ist, scheint die Zivilisation Lichtjahre entfernt.
Max und Greti kommen im Dezember 1976 für die Wintersaison nach Zermatt. Er ist Deutscher und Chef Saucier im Zermatterhof, sie Österreicherin, Spross einer Gastwirtfamilie und Kellnerin im Walliserhof. Die beiden zieht es als Paar vier Jahre als Saisonarbeitende an verschiedene Orte in der Schweiz. In Zermatt bleiben sie.
Zwei Jahre später wird ihr erstes Kind geboren. Auf einem ihrer Spaziergänge oberhalb von Zermatt kommen sie am Restaurant Zum See vorbei. Das einfache, von Familie Taugwalder geführte Lokal gefällt ihnen. Sie könnten sich gut vorstellen, hier als Wirtepaar einzusteigen. Die Jahre vergehen. Max wird Küchenchef im Hotel Pollux, baut sein Know-how und sein Lieferanten-Netzwerk aus. 1984 wird der Traum unverhofft wahr. Trotz bescheidener Finanzen und drei Kindern scheuen Max und Greti die Herausforderung nicht. Sie übernehmen das Zum See.
Tradition als LEITMOTIV
Damals wurde in Bergrestaurants bodenständig gekocht. Es gab Rösti, Käseschnitten und Bratwurst. Die Gerichte sollten deftig sein, das erwarteten die Wanderer und Skifahrerinnen. Max und Greti aber wollten mehr. «Wir wollten die Klassiker mit gehobener Küche ergänzen», meint Greti rückblickend, «und haben die Nudeln von Anfang an selbst gemacht, Suppen, Gemüse und Salate angeboten sowie Kalbsleber, Lammfilet und sogar frischen Lachs serviert, was damals eine Seltenheit war.» Mit zunehmendem Erfolg wurde die Karte umfangreicher.
Heute sind frische Produkte wichtiger denn je. Der Fisch kommt täglich aus Zürich, das Fleisch wird von Matterhornfleisch geliefert und die Weine stammen überwiegend aus dem Wallis. «Unsere Speisen sind authentisch», sagt Max. In der winzigen Küche haben zwar schon mehrere andere Köche gewirkt, aber die Speisen wurden stets nach seinen fortlaufend verfeinerten Rezepten zubereitet. «Wir machen alles selbst, darauf legen wir grössten Wert. Unsere Gerichte sind ehrlich, hochwertig und werden mit viel Liebe serviert.»
Unerwartete Begegnungen
Verzaubert von der Unverfälschtheit des Ortes kommen die Gäste Jahr für Jahr wieder. Manchmal entstehen Freundschaften. Auch ihre Kinder und Enkel besuchen das Zum See. «Einige essen seit der Eröffnung bei uns. Andere, die zu alt sind, lassen uns grüssen.»
Unter den Gästen, die schon bei Max und Greti eingekehrt sind, befinden sich viele VIPs. Eine Anekdote bringt Max noch heute zum Lachen: An einem Wintertag, an dem grosser Andrang herrschte, setzen sie aus Platzmangel vier Personen, die eigentlich zwei getrennte Tische reserviert hatten, an denselben Tisch. Die Gäste versuchten, möglichst viel Abstand zueinander zu halten. Ihr Verhalten kam den Wirtsleuten merkwürdig vor, doch sie hatten zu viel zu tun, um weitere Gedanken daran zu verschwenden. Als der Service beendet war, lösten ein paar Stammgäste das Rätsel auf. «Habt ihr sie nicht erkannt?», fragten sie. «Das waren der König und die Königin von Belgien mit ihren Leibwächtern, die versucht haben, ihnen so viel Privatsphäre wie möglich zu lassen.»
Die neue Generation
Markus half seinen Eltern schon als Kind an den Wochenenden und in den Ferien. Anfang der 2000er Jahre arbeitete er als frischgebackener Absolvent der Hotelfachschule Lausanne (EHL) zwei Saisons bei Max und Greti. Nach mehreren Lehrjahren in New York kehrte er mit seiner Lebensgefährtin Marion, die er an der EHL kennengelernt hatte, in die Schweiz zurück. Dem Ruf des Zum See konnte er nicht widerstehen.
Nach und nach fand das junge Paar seinen Platz, lernte die Stammgäste und ihre Wünsche kennen und erfuhr, was es bedeutet, auf der Alp zu arbeiten. 2022 beschlossen Max und Greti sich zurückzuziehen und den beiden den Weg frei zu machen. «Eine grosse Herausforderung», so Markus. «Wir können nicht alles genau so machen wie meine Eltern, die Zeiten haben sich geändert und zudem sind wir nicht Max und Greti. Aber Marion und ich geben alles, um ihre Gastfreundschaft weiterzuführen.» Ihr Ziel: «Allen Gästen ein Lächeln ins Gesicht zaubern.»