Die Schweiz, Top-Destination für digitale Nomaden

Berufliche Freiheit im Einklang mit der Natur

Autor
Samia Tawil
Veröffentlichung
Winter 2024-2025

Digitales Nomadentum wird immer populärer, vor allem seit Corona. Die Pandemie hat in vielen von uns den Wunsch geweckt, den hybriden Lebensstil auszuprobieren, morgens in Birkenstock zu traden und nachmittags verschneite Hänge abzufahren. Steht der trendige Lifestyle für ein neues Freiheitsideal?

Von Bali bis Mexiko, von Dubai bis Mallorca: Innerhalb weniger Jahre sind rund um den Globus Hotspots für digitale Nomaden entstanden. Sie erfüllen das Bedürfnis, die verlorene Freiheit zurückzugewinnen, und sind eine Antwort auf den akuten Drang der Burn-out-Generation, die zermürbende Routine abzuschütteln, sich beruflich neu zu orientieren und ihren Lebensmittelpunkt zu finden. Die Anhänger der «Workation» — eine Mischung aus Arbeit und Ferien — haben sich von der einengenden Ortsgebundenheit befreit. Sie beweisen, dass sich Arbeit und Vergnügen nicht ausschliessen.

Living the high life in den Bergen
In dieser mobilen Welt hat sich die Schweiz als Destination erster Wahl etabliert. Sie ist zum Inbegriff des naturverbundenen Nomadentums geworden. Wintersportorte wie Zermatt, Verbier oder Crans Montana haben das neue Bedürfnis früh erkannt und hippe Cafés und Coworking Spaces gefördert, um der Nachfrage gerecht zu werden. Neil Beecroft, der Gründer von PuraWorka, weiss um die Attraktivität der Schweiz für diese Berufstätigen «on the go». Als innovativer Visionär eröffnete er einen ersten Coworking Space in Zermatt, ein zweiter folgte in Sitten. «Die Schweiz bietet digitalen Nomaden ein aussergewöhnliches Umfeld mit hoher Lebensqualität, Sicherheit und grossartigen Landschaften», erklärt er seine Geschäftsidee. In Zermatt herrscht eine entspannte Atmosphäre und Outdoor-Aktivitäten haben einen hohen Stellenwert. Das lockt vor allem Abenteurer und Kreative an, die in den Alpen Ruhe und Inspiration suchen.» 

Neil Beecroft weiss, wovon er spricht: Er ist das Paradebeispiel eines digitalen Nomaden. An mehreren Fronten aktiv, pendelt er zwischen dem Wallis, Lausanne und seinen Coworking Spaces in Portugal, wo er seine Zeit zwischen Surfen und seinem Job — er fördert die Nachhaltigkeit an Sportveranstaltungen — aufteilt. Seine persönliche Erfahrung zeigt ihm, dass der ortsunabhängige Lifestyle immer mehr Anhänger findet. «Seit der Pandemie ist die Zahl der digitalen Nomaden deutlich gestiegen. Der Trend hat sich auch nach der Aufhebung der Massnahmen fortgesetzt, Workation ist nach wie vor sehr beliebt. Zwischen 2021 und 2023 hat die Auslastung unseres Coworking Spaces stark zugenommen. Mobil-flexibles Arbeiten bleibt langfristig attraktiv. Immer mehr Menschen entdecken ihre Vorliebe für diesen Lebensstil.»

Andere, etwas abgelegenere Orte in der Schweiz sind bewusst meditativer. So zum Beispiel die Lenk, wo Andy Stofferis einen Coworking und Coliving Space betreibt. Er möchte mit den von ihm geschaffenen Strukturen zwei Welten miteinander verbinden, die ihm am Herzen liegen, und eine Win-win-Situation schaffen. Die weniger mondänen Regionen, in denen vor allem Landwirte und Kleinproduzenten leben, profitieren von der Dynamik der digitalen Nomaden.

Attraktive Kulturhauptstädte
Die Schweiz zieht auch digitale Nomaden an, die das Stadtleben dem Landleben vorziehen. Zürich ist in dieser Hinsicht die ideale Wahl für alle, die das pulsierende Finanz- und Tech-Zentrum spüren, in coolen Cafés dem geschäftigen Treiben zuschauen und in das aufregende Kultur- und Nachtleben eintauchen wollen. An Kreativität, das Unvereinbare eben doch zu vereinen, mangelt es den digitalen Nomaden nicht. Im Seebad Enge zum Beispiel sieht man sie in Badehosen oder Bikinis vor ihren Laptops, wo sie sich die Plätze mit einigen aus den heissen Büros geflüchteten Erwerbstätigen teilen.

Das alternative Basel zieht Artsy-Nomaden an: Schriftstellerinnen, Digitaldesigner und Kunstkritikerinnen, die sich auf Messen vernetzen wollen — das Berlin der Schweiz sozusagen. 

Auch in Genf sind in den letzten zehn Jahren spezialisierte Cafés und Coworking Spaces entstanden. Zum Beispiel die stark businessorientierten Spaces Works, die strategisch günstig am Quai de l’île, in Cornavin, bei den Vereinten Nationen und im Ökoquartier l’Etang in der Nähe des Flughafens gelegen sind. Oder das funky Impact Hub, wo die Wednesdays’s Sexy Salads die überhitzten Neuronen mit gesunder Nahrung versorgen. Bei Locals besonders beliebt ist das Café Voisins. Hier treffen sich digitale Nomaden, Unternehmer und Freelancer aus der Region.

Schweizer Nomaden im Ausland: weit weg vom Alltag
Das Phänomen gibt es auch in umgekehrter Richtung: Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer versuchen sich als digitale Nomaden im Ausland. Sie trotzen den Unwägbarkeiten des internationalen WLAN, um nach ihrem Rhythmus zu leben: eine Saison im hiesigen Sommer, die andere unter Palmen. Neil Beecroft beobachtet diesen Trend in seinem Coliving Space auf Lombok bei Bali. Er hat das Ökoresort mitten in der Pandemie gegründet und damit bei vielen Schweizern einen Nerv getroffen. «Auf Lombok geht alles etwas ruhiger zu und her. Diese Gelassenheit ist ideal zum Surfen, Wandern und für Yoga. Zu uns kommen sehr unterschiedliche digitale Nomaden. Viele arbeiten in der Webentwicklung, im digitalen Marketing und in kreativen Berufen.»

Einige lassen sich dauerhaft in ihrem Gastland nieder, sehr zur Freude ihre Angehörigen, die sie in ihrer neuen Heimat besuchen können. Andere wiederum investieren, behalten aber ein Standbein in der Schweiz. Einer von ihnen ist Nicolas Cheneve, Chef von Magnitude Construction, das in der Region Ubud schlüsselfertige Luxusvillen baut. Er bestätigt: «Die Mehrheit unserer Investoren sind Millennials, von denen ein nicht unerheblicher Teil in digitalen Berufen tätig ist. 30 Prozent sind Schweizer.» 

Neben rein rationalen Argumenten scheinen uns die digitalen Nomaden, die dem Charme ihres Gastlandes erlegen sind, eine Lebensweisheit mit auf den Weg zu geben: Jeder ist seines Glückes Schmied. Es lohnt sich, den Mut aufzubringen, loszuziehen, auch wenn man geliebte Menschen zurücklässt, manchmal unter Einsamkeit leidet und sich ein neues Zuhause aufbauen muss. Nur so werden Träume wahr.