Ein Schweizer Winzer im Land der aufgehenden Sonne

Wein aus Leidenschaft

Autor
Claude Hervé-Bazin
Urheberrechte ©
Anoush Abrar
Veröffentlichung
Winter 2019-2020

Die 1392 in Lutry am Genfersee gegründete Domaine du Daley ist der älteste Gewerbebetrieb der Schweiz. Ihre Geschicke leitet ein begeisterter und begeisternder Mann. Cyril Séverin stammt aus einer Walliser Familie, die bereits in der Vergangenheit eng mit dem Winzerbetrieb verbunden war. Unter seiner Führung haben die Weine des historischen Guts allen Hindernissen und Grenzen zum Trotz Japan erobert.

Die Geschichte der Séverins ist wie ein guter Wein: spannend und voller Überraschungen. Cyrils Vater Marcel baute sich im Schweizer Apothekengeschäft aus eigener Kraft ein kleines Imperium auf. 2003 kaufte er die Domaine du Daley, wo sein Vater und sein Grossvater viele Jahre als einfache Gehilfen gearbeitet hatten, und übertrug die Leitung seinem Sohn Cyril. Der junge Mann fand darin eine Lebensaufgabe. Mit grossem Tatendrang und der sprichwörtlichen Walliser Hartnäckigkeit revolutionierte er die Produktion, indem er ganz auf Premium-Qualität setzte. Angesichts der hohen Herstellungskosten in der Schweiz, des hiesigen Klimas, der lokalen Bodenbeschaffenheit und der Vorliebe des Chefs für «grosse Küche und grosse Weine» eine äusserst clevere Entscheidung. Für den Winzer sind nachhaltige Landwirtschaft und Bio trotz der höheren Kosten eine Selbstverständlichkeit. Er will reinen Wein, auf den er stolz sein kann.

Heute regiert Cycil Séverin über ein kleines Reich aus 15 Hektaren Chasselas, Chardonnay, Sauvignon Blanc, Viognier, Pinot Noir, Gamaret, Cabernet Franc, Merlot, Syrah und Plant Robert. Seine Parzellen an den sonnigen Südhängen über dem Genfersee machen ein Tausendstel der gesamten Schweizer Rebfläche aus. Daraus entstehen gemäss einer Strategie des kleinen, aber hochwertigen Ertrags jährlich rund 65 000 Flaschen. Ein Tropfen im Ozean der globalen Weinproduktion, aber ein exquisiter!

«Mit den Sy könnte man die Welt neu erfinden»
Der dreistöckige Weinkeller wurde von Cyril Séverin selbst entworfen und ist so aufgebaut, dass die verschiedenen Schritte der Weinproduktion per Schwerkraft erfolgen können: Die Trauben werden auf die Terrasse geliefert, fallen durch Klappen in Gärbottiche, von wo der Saft in die Barriquefässer im Untergeschoss fliesst. Im Fasskeller, der in seiner Art im Lavaux einzigartig ist, werden die Weine dann geduldig ausgebaut. Die Rotweine sind ungefiltert und Schwefel wird nur sehr sparsam verwendet.

«Wein spiegelt den Charakter der Person, die ihn gemacht hat», sagt Cyril Séverin. Die 16 Grands Crus der Domaine du Daley sind «sehr fein und komplex». Sieben davon sind Weissweine, darunter der Chasselas Tradition, der Chasselas Grande Réserve und La Légende. Sogar Roséweine stellt Cyril Séverin her. Sie werden aus Gamay-Trauben alter Rebstöcke gekeltert und als «saftig und aromatisch» beschrieben. Der Sakura zum Beispiel wird wie ein Weisswein ausgebaut, ist aber einzig und allein für japanische Kunden bestimmt. Wenn das Wetter mitspielt, kommt ein reiner Syrah namens «Sy» hinzu. Die Asiaten sind ganz verrückt danach.

Erfolgsmärchen im Land der Kirschblüte
Für Cyril Séverin ist Wein eine Philosophie, der Wille, alles richtig zu machen, sein Leitsatz. In Japan werden eine solche Hingabe und Rechtschaffenheit sehr geschätzt. Ein fein ausgebauter Chasselas, mit Chardonnay strukturiert und mit etwas Sauvignon Blanc veredelt, brachte den Walliser auf die Idee, sein Glück in Japan zu versuchen. Der Wein würde perfekt zu Sushi passen! Er flog ins Land der aufgehenden Sonne, um der Lokalbevölkerung seine Kreation schmackhaft zu machen. Sein Erstling, der Sushi Wine mit einmaliger Gärung, traf genau ihren Geschmack. Bestärkt durch seinen Erfolg kehrte er zurück, im Gepäck einen Chasselas und einen Pinot Noir. Beide überzeugten. Immer und immer wieder reiste er nach Japan, bis er schliesslich in Tokio eine Niederlassung eröffnete. Bei seinen Aufenthalten knüpfte Cyril Séverin Freundschaften. Er traf Tsutomu Yosh, ein Verkäufer Schweizer Luxusuhren und Besitzer des Restaurants Yoshida. Die beiden Männer verstanden sich auf Anhieb. Im ersten Jahr lieferte der Schweizer Winzer 300 Flaschen nach Tokio, im zweiten 600, im dritten 1200! Seither stehen nicht nur in Yoshs Gourmettempel, sondern auch in vielen anderen Sternerestaurants des Landes Weine der Domaine du Daley stolz neben Romanée-Conti und Petrus. Für viele asiatische Weinliebhaber verkörpern die edlen Tropfen der Domaine du Daley die sprichwörtliche Schweizer Qualität. Sie haben sich in der japanischen Gastronomie fest etabliert. Unglaubliche 10 000 Flaschen pro Jahr werden mittlerweile ins Land der Kirschblüte exportiert.

Walliser aus Leidenschaft
Ihren Ursprung hat die Familie Séverin in Saint-Séverin bei Vétroz und Conthey, einer Weinbauregion über dem Rhonetal. Cyril Séverin schätzt die guten Tropfen seiner lokalen Nachbarn: die biodynamischen Weine von Marie-Thérèse Chappaz, die von Gault&Millau zur «Ikone des Schweizer Weins» ernannt wurde, die Syrah von Simon Maille und Denis Mercier, die Vielfalt und die Spezialitäten der Domaine Cornulus und die Produkte vieler anderer passionierter Winzer.

«Ich fahre nirgendwo anders Ski als in Zermatt, denn um gut skizufahren, muss man gut essen», beteuert Cyril Séverin. Und gut trinken, hat er vergessen hinzuzufügen. Der erfolgreiche Winzer ist in Zermatt Stammgast. Bereits im Alter von sechs, sieben Jahren traf man ihn auf den Zermatter Pisten an. So lange schon freut er sich jedes Jahr von Neuem, an den gleichen Ort und in die gleichen Berge zurückzukehren. «Für mich ist Zermatt das schönste Skigebiet Europas und es hat die beste Gastroszene!», schwärmt er. Klingt etwas übertrieben, aber wo er Recht hat ...

www.daley.ch