Kartografie als Kunst

Autor
Marie de Pimodan-Bugnon
Urheberrechte ©
Andeers
Veröffentlichung
Hiver 2018-2019

Die aus Holz geschnitzten oder in Keramik gegossenen Karten im A1-Format bilden die Schweiz mit einer phänomenalen Präzision von 22 oder 28 Mikrometern ab. Spitzwerk verwandelt den Gebrauchsartikel mit einer technischen Meisterleistung zum Kunstwerk.

Wir haben alle die Schatzkarten unserer Kindheit im Kopf und erinnern uns noch gut an die Weltkarten und ­Globen in den Schulzimmern. „Die Kartografie hat mich schon immer fasziniert“, sagt Patrick Pestalozzi, der Gründer von Spitzwerk. „Eine Karte sagt uns, woher wir kommen und wohin wir gehen. Sie liefert uns eine Fülle an Informationen und zeigt uns bekannte Landschaften aus einer ganz neuen Perspektive. Eine Karte kann man stundenlang studieren, sich in eine Region vertiefen und Orte erkennen.“
Spitzwerk vollzieht einen Paradigmenwechsel. Die vor drei Jahren im jurassischen Watch Valley gegründete Firma verabschiedet sich von den Landkarten unserer Kindheit – jenen, die das Gebiet mehr oder weniger farbig und unterschiedlich genau abbilden. Vielmehr macht sie die Kartografie mithilfe neuer Technologien wieder zum Kunsthandwerk. Spitzwerks Prämisse: auf grossen Flächen extreme Präzision gewährleisten.

Die Kunst steckt im Detail
Entstanden ist die Idee für Spitzwerk bei einem Treffen zwischen Patrick Pestalozzi und dem Ingenieur Eric Marguet. Der Schweizamerikaner erinnert sich: „Ich war im Rahmen eines ganz anderen Projekts bei der Hochschule Saint-Imier zu Besuch und bin dort per Zufall auf eine winzige, aber hochpräzise Karte der Schweiz aus Messing gestossen. Ich erkundigte mich bei Éric, ob sich diese Arbeit im Grossformat auf Holz reproduzieren lasse. Die Herausforderung gefiel ihm. So hat alles begonnen.“ Die Idee der beiden Männer schien simpel, ihre Umsetzung stellte sich aber als hochkomplex heraus. Ganze drei Jahre Forschung und Entwicklung waren nötig, um eine Schweizer Karte im Massstab von 841 x 594 Millimetern mit einer Präzision von 22 Mikrometern herzustellen, deren Details mit blossem Auge nicht sichtbar sind. Drei Jahre voller Enttäuschungen und Erfolgserlebnisse, Fehler und Erleuchtungen, die sich aber gelohnt haben. Mit dem patentierten „Digital Manufacturing“-Verfahren kann Spitzwerk sein ambitioniertes Ziel verwirklichen, die Schweiz, das Wallis und bald auch andere Regionen detailgetreu zu reproduzieren.

Eine andere Dimension
Die Zahlen verraten viel über die technische Spitzenleistung, die im Hightech-Produktionsatelier vollzogen wird. Für die Schweizer Karte wird acht Wochen, Tag und Nacht, ununterbrochen gearbeitet. Das entspricht einem Werkzeugpfad von 4273 Kilometern. „Indem wir die Geodaten mit unseren Algorithmen umgewandelt haben, ist es uns gelungen, unsere Holz- und Keramikkarten detailgenauer zu gestalten als das auf einem Computerbildschirm je möglich sein wird“, betont Patrick Pestalozzi. Für die Fertigung der 28 Mikrometer genauen Karte des Wallis brauchte Spitzwerk sechs Wochen. Die lange Produktionszeit hat ihren Grund: „Unsere Karten sind keine simplen Holz- und Keramikgravuren, sondern hochpräzise, durch Spitzentechnologie entstandene Dekorationsobjekte.“
Für Bergfreunde, Kartenliebhaber und Ästheten sind die in Ahorn oder Buche geschnitzten oder in Keramik gegossenen Karten unerschöpfliche Fundgruben, denen sie mit blossem Auge oder mit der Lupe unzählige Geheimnisse entlocken: hier ein Kar, dort eine Gletscherzunge oder ein unbekannter Berg. „In die Reliefs unserer Karten kann man sich stundenlang vertiefen“, bestätigt Patrick Pestalozzi. „Ich erinnere mich an einen Bergführer, der sich über die Karte gebeugt hat und vierzig Gipfel erkannte!“ Indem die im Atelier von Spitzwerk gefertigten Karten Grossformatiges mit winzig Kleinem zu erstaunlichen Kunstwerken verbinden, setzen sie die Tradition der schweizerischen Kartografie fort, die Dufour in der Mitte des 19. Jahrhundert begründet hat. Sie sind eine Einladung, sich mit der Schweizer Landschaft auseinanderzusetzen, die auf den Karten ihre faszinierende Schönheit in einer neuen Dimension offenbart.

www.spitzwerk.ch