Montbells

kometenhafter Aufstieg

Autor
Claude Hervé-Bazin
Urheberrechte ©
Montbell
Veröffentlichung
Winter 2020

Kinobi ist eine eigenständige japanische Kunst, die darin besteht, Schönes mit Funktionellem zu verbinden. Isamu Tatsuno hat sich diese Philosophie zur Lebensweisheit gemacht. Sie leitete ihn, als er die Nordwände der höchsten Alpengipfel bestieg, aber auch, als er die grösste asiatische Outdoormarke gründete. In der Schweiz ist Montbell in Zermatt und in Grindelwald mit einem Flagship Store vertreten.

 

Alles begann mit einer grossen Enttäuschung in Isamu Tatsunos Kindheit. Als 12-Jähriger durfte er aufgrund seiner «schwachen Gesundheit» nicht an der jährlichen Winterwanderung seiner Schule auf den Mount Kongo (1125 m) teilnehmen. Dabei ist der Mount Kongo kein Everest, sondern nur ein bescheidener Berg mit zwei Shintō-Schreinen auf dem Gipfel, der aufgrund der in Schnee gehüllten Bäume, den sogenannten Juhyo, im Winter zu einem beliebten Ausflugsziel wird. Tief enttäuscht und gekränkt setzte sich der Junge den Berg als persönliches Ziel.

Der Stoff, aus dem Helden sind
Bald schon erkundete Isamu den Mount Kongo bis in seine hinterste Ecke. Immer und immer wieder bestieg er den Berg. Als er sämtliche Wege begangen hatte, stürzte er sich ins grosse Abenteuer, ausgerüstet mit dem alten Rucksack eines Verwandten, den Armeepfannen seines Vaters, einem Zelt, das er sich mit seinem Taschengeld gekauft hatte, und einem aus einer alten Decke selbstgebastelten Schlafsack. Mit 16 Jahren stiess Isamu auf einen Auszug von Heinrich Harrers Erlebnisbericht Die Weisse Spinne, der von seiner Erstbegehung der Eigernordwand im Jahr 1938 erzählte. Der Jugendliche nahm sich die Fähigkeit des Österreichers, Schwierigkeiten erfolgreich zu überwinden, zum Vorbild. Für ihn war es beschlossene Sache: Er würde alles unternehmen, um der erste Japaner zu sein, dem die Durchsteigung der Eigernordwand gelingt. Nächste Etappe waren die Klippen rund um Osaka. Unermüdlich bestieg er einen Felsen nach dem anderen, schloss Bekanntschaft mit vielen anderen Kletterern und wagte sich schliesslich in Begleitung von Gleichgesinnten an die japanischen Alpen. Dort eröffnete er einige Routen, auf die weitere folgten. Er war nicht zu stoppen. Isamu wurde zu einem ausgewiesenen Alpinisten und einer lokalen Berühmtheit.

Zweite Heimat
1969, im Alter von 21 Jahren, reiste Isamu Tatsuno mit seinem Freund Sanji Nakatani mit dem Schiff und dem Zug in die Schweiz. Für die japanische Erstbegehung der Eigernordwand war es zu spät: Mitsumasa Takada war ihm 1965 zuvorgekommen. Halb so schlimm, dachte er sich. Das würde ihn garantiert nicht von der Besteigung abhalten. Oben auf dem Gipfel blieb sein Blick an einem anderen Berg hängen: dem Matterhorn. Es würde sein nächstes Ziel sein! Auch diesmal entschied er sich für die Nordwand, denn je schwieriger ein Unterfangen, desto grösster bekanntlich die Genugtuung. Am Morgen, bevor die beiden jungen Leute zum Matterhorn aufbrachen, zügelte ihre Gastgeberin vom Hotel Bahnhof ihren Übereifer. «Erfolg bedeutet nicht, es bis zum Gipfel zu schaffen», sagte sie, «sondern zu überleben.» Isamu Tatsuno vergass diesen Satz nie. Er begleitete ihn auf allen seinen Expeditionen und sorgte dafür, dass er immer wieder gesund in das von ihm so geliebte Mattertal zurückkehren konnte.

Die Sonne geht auf
Zurück in Japan arbeitete Isamu Tatsuno zunächst in einem Bergsport-Geschäft und gründete 1970 mit seinem Partner Sanji Nakatani und dem japanischen Eigernordwand-Erstbesteiger Mitsumasa Takada die erste japanische Kletterschule. Schritt für Schritt eignete er sich mehr Fachwissen an. Er bewarb sich erfolgreich bei einem Stoffunternehmen, bei dem er lernte, ein Geschäft zu führen und neue Materialien und Produkte zu entwickeln. Mit 28 Jahren – «nicht zu jung und nicht zu alt», wie er es ausdrückte – und mit einem ausreichenden Erfahrungsschatz gründete Isamu Tasuno Montbell («schöner Berg»), eine Firma für Outdoorbekleidung und -ausrüstung. Das Timing war perfekt: Wandern und Bergsteigen waren in Japan gleichermassen wie in Europa und Nordamerika gross im Kommen. Und nachdem die Alpinisten die höchsten Berge in der warmen Jahreszeit bestiegen hatten, wollten sie das Gleiche im Winter tun. Dazu brauchte es die passende Ausrüstung. Hier kam Montbell zum Zug.

 Die japanische Note
Im feuchten Klima Japans werden Daunenschlafsäcke nass und verlieren ihre wärmedämmende Wirkung. Isamu Tatsuno hatte die Lösung: Er entwickelte einen synthetischen, extrem leichten Stoff. Mit seiner Idee im Gepäck reiste er nach München und klopfte dort bei Sport Schuster an, wo er seine beiden einzigen deutschen Sätze zum Besten gab: «Ich komme aus Japan. Ich möchte den Schlafsack verkaufen».

Der Erfolg schlug sofort ein. Montbell stützte sich auf die neusten Forschungen zahlreicher Textilfirmen in der Umgebung von Osaka und stärkte damit gleichzeitig das Ansehen Japans in der Herstellung technischer Erzeugnisse. Die Firma brachte ein Sortiment aus wasserdichten Nylonstoffen heraus und wurde zum führenden Anbieter ultraleichter Produkte. Über 40 Jahre sind seither vergangen, in denen Montbell die Welt mit der Devise «Light and Fast» erobert hat. Isamu Tatsuno hat in dieser Zeit seine Leidenschaft für Kanufahren und Wildwasserkajak entdeckt (er gewann sogar einen nationalen Wettkampf!), pädagogische und soziale Projekte lanciert und Initiativen für nachhaltigen Tourismus gestartet, wie die «Japan Eco Tracks» zum Wandern, Bergsteigen, Velofahren und Kajaken. Und er hat über den Montbell Fund, der mit den Beiträgen der 940 000 Mitglieder finanziert wird, einen wesentlichen Teil zum Bau der Charles-Kuonen-Hängebrücke in Randa beigesteuert. Sie vervollständigt den Europaweg von Grächen nach Zermatt und ist mit ihren 494 Metern die längste Fussgänger-Hängebrücke der Welt. Eine Art Tribut an das Land, in dem alles begann.

www.montbell.ch
en.montbell.jp