Gornergrat Railway

125 Jahre unterwegs

Autor
Claude Hervé-Bazin
Urheberrechte ©
Gornergrat Bahn
Veröffentlichung
Winter 2023-2024

Im 19. Jahrhundert verloren die Alpen nach und nach ihre furchteinflössende Wirkung. Erste Touristen wagten sich in die Berge und kamen den Gipfeln und Gletschern immer näher. 1898 stieg die erste elektrische Zahnradbahn der Schweiz bis auf über 3000 Meter, auf Augenhöhe mit den Eistürmen des Gornergletschers. Dieses Jahr feiert sie ihren 125. Geburtstag.

«Ich hatte von dem hohen Sitze aus einen grossartigen Blick auf den Monte Rosa und scheinbar auf den ganzen Rest der Alpenwelt. Eine mächtige Schar von Schneegipfeln türmte den Horizont auf. (...) Nirgends gibt es eine solche Ausstellung von Grösse und Schönheit, wie sie vom Gornergratgipfel geschaut werden kann», schrieb Mark Twain 1878 nach einer Wanderung vom alten Dorfkern Zermatts bis zum Rand des Gornergletschers. Vor seinen Augen schlängelte sich der majestätische Eisstrom unter dem wachsamen Blick des Matterhorns und rund dreissig weiterer Viertausender über 15 Kilometer hinab ins Tal.

Im Lauf der Jahre und der Gipfelbesteigungen, die von der Presse und den geografischen Gesellschaften ausschweifend gefeiert wurden, stieg das Interesse an den Bergen. Bald schon strömten jedes Jahr Tausende feiner Damen und Herren nach Zermatt, um das Panorama des Gornergrats zu bewundern — zu Fuss, auf Maultieren, Pferden oder im Tragstuhl. Der Bundesrat erkannte eine Chance. 1891 fuhr die Bahn von Visp bis nach Zermatt, doch was sprach dagegen, das Trassee zu verlängern?

Dem Himmel immer näher
Ein Bieler Buchdrucker hatte bereits mit dem Gedanken gespielt. Er wollte die Visp-Zermatt-Bahn mit zwei Hochgebirgsbahnen ausbauen, eine auf den Gornergrat und eine aufs Matterhorn. Zu hoch gegriffen. Nur das Projekt der Gornergrat Bahn wurde weiterverfolgt und der Firma Haag & Greulich anvertraut. Ungeachtet der Opposition der Gemeinde Zermatt und des Kantons, die ihre Bergführer vor der Konkurrenz schützen wollten, wurden die Arbeiten im Mai 1896 aufgenommen. Obwohl aufgrund der Höhenlage nur im Sommer gebaut werden konnte, zwei Brücken erstellt und fünf Tunnels gebohrt werden mussten, schritten die Arbeiten dank der über tausend angeheuerten Italiener schnell voran. 9029 Meter Gleise mussten verlegt werden. Um die Bahn mit dem nötigen Strom zu versorgen, wurde am Findelbach ein Turbinenhaus zur Gewinnung von Wasserkraft gebaut.

Am Samstag, dem 20. August 1898, fuhr der erste fahrplanmässige Zug um 10 Uhr unter strahlend blauem Himmel dem Gipfel entgegen. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 7,2 km/h dauerte die Fahrt 1,5 Stunden, dreimal länger als heute. Neben der Endstation auf 3018 Metern (heute 3089 m) wurde in Rock, Korsett und breitem Hut schick gepicknickt. Damit war der höchstgelegene Elektrozug Europas unter freiem Himmel eingeweiht. «Alle, die diese Strecke gefahren sind, sind begeistert von der neuen Bahn, die sicherlich zu einem grossen Erfolg berufen ist», schrieb die Le Confédéré über die Eröffnungsfeier.

Die Zeitung sollte Recht behalten. Spätestens mit dem Bau des Kulmhotels oberhalb der Endstation auf 3100 Metern war der Tourismus endgültig angekommen. Anfangs lief die Bahn nur von Juni bis September, ab Winter 1927/28 brachte sie die Skifahrer bis zur Riffelalp und schliesslich nach Riffelboden. 1941 erreichte sie dann den Gornergrat im Schnee. Die Gornergrat Bahn hat die Zermatter nicht wie befürchtet um ihre Lebensgrundlage gebracht, sondern Gäste angelockt, die dank ihr die Faszination der einzigartigen Alpenpanoramen erleben können — damals wie heute.

gornergrat.ch